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Ein Herz für die Kleinen - Mutter Theresia und ihre Kinder, die nicht die eigenen waren

In einem kleinen, von grünen Wäldern und saftigen Feldern umgebenen Dorf namens Haselbrunn bei Pullenreuth lebte einst eine Frau namens Theresia. Sie war eine kluge und warmherzige Dame, deren Herz voller kindlicher Liebe war. Theresia hatte selbst zwei Kinder großgezogen, ihre eigene Kindheit hatte sie also bereits eine Weile hinter sich gelassen. Und das war auch gut so - konnte sie doch nur auf diese Weise wertvolle Erfahrungen sammeln und ihre kindliche Verbundenheit bewahren. Dennoch - oder gerade deshalb - wusste sie aber auch ganz genau, was es tatsächlich bedeutet, Kind zu sein. Eines Tages wurden Theresias Sprösslinge selbst zu Eltern und schenkten Theresia drei Enkelkinder, die sie voller Inbrunst in ihren Armen wiegte. Tief in ihrem Innersten war Theresia aber stets bewusst, dass ihre von kindlichen Wünschen geprägte Reise auch hier noch lange nicht zu Ende sein sollte – dass es draußen in dieser großen weiten Welt immer noch zahlreiche Familien geben musste, die auf ein klein wenig Licht hofften.

 

 

Die Jahre zogen ins Land und neben ihrer beruflichen Tätigkeit in der Personalverwaltung engagierte sich Theresia lange Zeit in einem ganz anderen Feld - der Seniorenarbeit. Dann kam Corona und alles sei im Sande verlaufen. „Und dann habe ich sehr bald gemerkt, dass mir trotzdem ein Ehrenamt fehlt, dass ich einfach ein bisschen Zeit übrig haben möchte für etwas Gutes“, erzählt Theresia mit warmer Stimme. Sie habe in den Weiten des Internets recherchiert und sei auch bald fündig geworden. Seitdem half Theresia einmal im Monat beim Familien-Café im Kemnather Familien- und Bürgerzentrum Mittendrin - für Mütter, Väter und deren Kinder bereitete sie Kaffee, Tee und Kakao zu, buk Kuchen und kümmerte sich um die Räumlichkeiten.

Doch vor einigen Monaten hat Theresia eine neue Aufgabe gefunden, die ihr Herz zutiefst erfüllte: Eines Tages, während ihrer Tätigkeit im Mittendrin, entdeckte Theresia einen unscheinbar wirkenden Flyer, der sie dennoch magisch in seinen Bann zog. Darauf stand geschrieben, dass das SOS Kinderdorf Oberpfalz auf der Suche nach Familienpaten sei. „Das hat mich dann natürlich auch interessiert. Und dann habe ich Kontakt aufgenommen und wir hatten ein sehr gutes Gespräch.“
Theresia besann sich auf die Zeit, als sie ihre eigenen Kinder großgezogen hatte und auf jene Tage, an denen für sie selbst jede kleine helfende Hand wie ein Geschenk des Himmels gewesen sei - so wie die ihrer Eltern und Geschwister. Vielleicht könnte nun sie für andere genau eine jener helfenden Hände sein, die ihr so tatkräftig unter die Arme gegriffen hatten, dachte sie bei sich. Danach habe sie einfach „ja“ gesagt und die Ausbildung zur Familienpatin begonnen.
„Es war ein kompakter Kurs, der uns auf viele Situationen vorbereitet hat,“ erinnert sich Theresia, von theoretischen Grundlagen bis hin zu praktischen Fallbeispielen. So hätten sie an mehreren Wochenenden gelernt, wie sie Familien unterstützen können, welche Herausforderungen sie erwarten könnten und wie es in diesem ehrenamtlichen Betätigungsfeld mit dem Versicherungsschutz bestellt ist. Es sei sehr spannend gewesen und habe Theresia von Anfang an große Freude bereitet. Vorkenntnisse oder eine spezielle Vorbildung sei für den Kurs nicht erforderlich gewesen.

So trug es sich zu, dass die heute 62-Jährige schon bald darauf einer Familie aus dem oberpfälzer Landkreis Tirschenreuth vorgestellt wurde, die seit einiger Zeit auf Unterstützung hoffte: Es war ein junges Paar mit zwei lebhaften Söhnen, einem Dreijährigen, der das Leben als wildes Abenteuer voller interessanter Dinge ansah, und einem Einjährigen, der die Welt jeden Tag aufs Neue gar spielerisch entdecken wollte. Theresia stellte sich der Herausforderung und begleitete die Familie seitdem als Familienpatin. Sie schenkte den Eltern einmal pro Woche eine wertvolle Auszeit - ein Stück Entlastung in deren Alltag. Gleichzeitig entwickelte sie sich für die Kinder zu einer neuen, liebevollen Bezugsperson, die ihnen mit Geduld und Freude einen Platz in ihrem Herzen schenkte – und damit auch deren kindlichen Alltag zum endest einmal die Woche ein wenig bereicherte.

 


Theresias Aufgabe als Familienpatin war dabei klar: Sie betreute Kinder, damit sich die Eltern Zeit für andere Dinge nehmen konnten.
Die Mutter der Familie habe die gewonnene Zeit zumeist genutzt, um Hausarbeit zu erledigen, ohne ständig unterbrochen zu werden. Wenn die Last des Lebens zu schwer wurde, war Theresia da, stark und verlässlich. Wie eine gute Fee nahm sie ein Stück der Bürde ab, sodass die Herzen wieder leichter wurden und die Wege weniger beschwerlich erschienen: Die kleine Auszeit, die Theresia ihr schenkte, ermöglichte es ihr, wieder Kraft zu schöpfen und sich den Herausforderungen des Alltags mit neuem Mut zu stellen.
Für die Kinder war Theresia aber nicht nur eine Betreuerin, sondern eine treue Gefährtin: Wenn es um Kinder geht, war Theresia immer mittendrin im kindlichen Spiele, nicht nur dabei: „Ich liebe Kinder und kann mich gut in sie hineinversetzen. Es macht mir nichts aus, mit ihnen im Sandkasten zu sitzen oder auf dem Boden Bauklötze zu stapeln.“ Der erfahrenen Dame war dabei auch durchaus immer bewusst, dass die Kinder, die sie betreute, nicht ihre eigenen waren. „Aber in dem Moment, wo sie bei mir sind, ist da kein Unterschied. Da sind sie einfach Kinder, da nehme ich sie auf den Schoß, oder drück sie einmal oder tröste sie oder was sie halt gerade brauchen.“ Die Familienpatin liebte das, was sie voller Leidenschaft tat - und das war bei ihren Erzählungen auch an jeder einzelnen Silbe deutlich ablesbar.

Seit August machte Theresia nun beides - sie half bei den Familiennachmittagen im Mittendrin und sie unterstützte Hilfesuchende als Familienpatin, ehrenamtlich natürlich: „Das Wichtige für mich ist einfach das Gefühl, etwas Gutes gemacht zu haben. Das fühlt sich sehr richtig an, was ich da mache“. Belohnt wurde Theresia für Ihre Arbeit nicht mit Geld oder Gold - ganz umsonst sei es dann aber auch wieder nicht gewesen: „Ein bisschen was kriegt man ja auch immer wieder zurück, sei es […] bloß ein Lächeln […] oder einfach eine nette Geste oder von Herzen ein Dankeschön.“
Und so manches Ereignis habe sich dann auch ganz tief in ihre Erinnerungen eingebrannt: Als Theresia die Familie zum ersten Mal besucht hatte, wurde sie von fragenden Kinderaugen und einem vorsichtigen Lächeln der Mutter begrüßt. Mit der Zeit wurde Theresia zu einem festen Bestandteil ihres Lebens. Die Patin spielte mit den Kindern im Garten, baute Sandburgen und schaukelte sie hoch hinaus. Eines Tages, während sie mit den fremden Söhnen im Sandkasten saß, nahm der ältere Junge plötzlich ihre Hand und sagte: „Ich mag dich.“ Theresia lächelte ihn an und sagte „Ja, ich mag Dich auch.“ Und der Kleinere kam ebenfalls hinterher und sprach „Auch, auch!“ Darauf antwortete Theresia mit warmer Stimme: „Ja, und Dich mag ich auch.“ In diesem Moment habe sie in ihrem ganzen Körper deutlich gespürt, dass sie genau dort war, wo sie gebraucht wurde - gleich einer schicksalhaften Berufung.

 

 

Für Theresia war das Ehrenamt stets eine Herzensangelegenheit. Jeder, der ein wenig Zeit übrig hat, sollte darüber nachdenken, sich ebenfalls u engagieren, wurde Theresia nicht Müde zu betonen. Denn es fühle sich einfach richtig an. So plante auch Theresia, ihre zunächst auf zwölf Monate begrenzte Arbeit als Familienpatin auch nach Ablauf des ersten Jahres fortzusetzen. „Wenn eine Familie weiter Bedarf hat oder eine neue Familie hinzukommt, bin ich dabei.“ Denn dieses Ehrenamt habe ihr so viel gegeben und dieses Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, möchte sie nicht mehr missen. Und ein bisschen Zeit habe jeder zu verschenken sagte Theresia immer, bevor sie ihren Appell mit wenigen Worten eindringlich auf den Punkt brachte:

„Ich unterstütze Familien. Und was machst du?“

Und so lebte Theresia noch lange weiter und verbrachte ihre Zeit nur allzu gern mit Kindern, die all zu oft nicht ihre eigenen waren, um Familien zu helfen und als helfende Hand all denjenigen zur Seite zu stehen, die ihre Unterstützung wünschten. Ihr Leben glich einem Märchen – einem, das nicht von hübschen Prinzessinnen oder bösen Hexen handelte, sondern einem von der einfachen, aber kraftvollen Magie der Menschlichkeit. Und wer weiß, vielleicht konnte Theresia mit ihren Taten ja den ein oder anderen Menschen inspirieren, sich selbst ebenfalls ein klein wenig für andere zu engagieren und die Welt dadurch ein bisschen märchenhafter zu machen.