Ein Herz für defekte Dinge - Prinz Henryk und seine tollkühnen Ritter der Nachhaltigkeit
Den Wert materieller Gegenstände und deren Ressourcen besser schätzen zu wissen - das scheint in unserer hochmodernen Welt zwischen vergänglichem Social-Media-Content, schnelllebiger Stateof-the-Art-Mentalität und digitalem Mega-Einkaufszentrum immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Menschen kaufen Dinge - zumeist im Netz -, benutzen sie für eine gewisse Zeit und werfen sie anschließend arglos wieder weg. Ganz Germanien ist diesem Wegwerfwahn verfallen… ganz Germanien? Nein! Ein von unbeugsamen Bajuwaren bevölkertes Zentrum in dem kleinen Städtchen Kemnath in der Oberpfalz hört nicht auf, dieser Entwicklung Widerstand zu leisten. Unter ihnen auch der tapfere Recke Henryk, der für seine Ideale auch fernab der Heimat kämpft.
In einem beschaulichen Dorf namens Waldeck, in dem die Zeit stillzustehen scheint, lebt der in Landshut aufgewachsene und über Nürnberg in die Tiefen der Oberpfalz migrierte Industriemechaniker und Maschinenbautechniker Henryk. Der zweifache Familienvater hat bereits - oder besser gesagt erst - 36 Winter erlebt. Tag für Tag meistert er das große Abenteuer des Lebens, jongliert stets zwischen Familie und Arbeit hin und her, während er sich einem Leitgedanken einfach nicht verwehren kann, dem er sich allerdings zutiefst verpflichtet fühlt: Ein ressourcenschonendes Leben zu führen.
Einmal im Monat schnürt Henryk daher sein Werkzeug zusammen und begibt sich auf eine kühne Expedition in das mittlerweile gar nicht mehr so unbekannte Reparaturcafé im ebensowenig entlegenen Kemnather Familien- und Bürgerzentrum Mittendrin, wo defekte Toaster, kaputte Notebooks und nicht mehr funktionierende Dampfbügelstationen auf eine zweite Chance hoffen! „Ich glaube, in Kemnath gibt es keine Dampfbügelstationen, die ich noch nicht in der Hand gehabt hätte!“, erklärt Henryk frohlockend. Meistens sei bei diesen dann ohnehin immer ein und dasselbe Bauteil defekt: ein Thermowiderstand, der durch Überhitzen seine Funktion verliert - „Und das Ding kostet drei Cent“. Das ganze Gerät deshalb wegzuschmeißen und sich - wohlfeil oder hochpreisig - etwas neues zu kaufen - für Henryk ein absolutes Ungemach. Denn er weiß genau, dass durch solch ein Verhalten nicht nur wertvolle Ressourcen verschwendet, sondern auch jede Menge Müll und Schrott produziert werden. Und genau das gilt es seiner Meinung nach redlichst zu vermeiden.
Henryk, der ehrenamtlich im Reparaturcafé tätig ist, hat schon so manche Schlacht ganz ohne Entlohnung geschlagen. Früher kämpfte er tapfer in den Reihen der Feuerwehr und beim Roten Kreuz, aber mit zwei kleinen Sprösslingen an seiner Seite, einer umfassenden Dienstbarkeit und bald einem eigenen Domizil in seiner Wahlheimat, ist das nicht mehr ganz so leicht zu bewerkstelligen - denn die (Frei-)Zeit ist etwas äußerst kostbares, das es zu bewahren gilt.
Nichtsdestotrotz möchte sich Henryk auch weiterhin ehrenamtlich engagieren - nur eben nicht mehr ganz so lange, nicht mehr rund um die Uhr. Wie gut, dass es in Kemnath neben einer Brandwache und den örtlichen Samaritern seit Oktober 2017 auch ein gemeinnütziges Reparaturcafé auf ehrenamtlicher Basis gibt. Dieses bildet seine heimliche Trainingsstätte, in welcher er nur einmal im Monat für etwa zwei Stunden schaffen muss. Das sollte für jeden möglich sein, wie Henryk meint: „Es sind ja nur zwei Stunden, einmal im Monat, […] das kann auch jeder aufbringen. […] Feuerwehr oder Rotes Kreuz […] das ist natürlich eine ganz, ganz andere Hausnummer vom Zeitlichen her, aber ich denke, gerade so Tätigkeiten bei uns im Mittendrin, egal ob das das Reparaturcafé ist oder ein anderes Feld, das ist schon drin.“
Seine abenteuerliche Reise ins Reich der Instandsetzung begann bereits vor einigen Jahren in Nürnberg, wo er unmittelbar neben einem Reparaturcafé wohnte und anfangs wie ein junger Krieger vor dem Kampfe nur schüchtern vor den Toren stand. Doch die neue Heimat Kemnath rief mit seinem Mittendrin voller Inbrunst nach ihm, und Henryk antwortete voller Tatendrang: „Ich mache mit, um einen ressourcenschonenden Lebensstil zu schaffen!“ Seitdem ist er Teil einer tapferen Gefolgschaft bestehend aus 13 Freiwilligen, vom gewieften Nähmaschinenmagier, über den geschickten Fernseh- und Radio-Mechanicus, bis hin zum großen Meister der Gartengerätschaften - alle vereint mit ein und demselben Ziel: Reparieren, was zu reparieren ist.
Henryk empfindet immer wieder große Freude an dem Kontakt zu den unterschiedlichen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und an deren Geschichten über die Dinge, welche sie ins Reparaturcafé bringen, wie etwa die episch anmutende Saga eines Mannes über einen alten Toaster, ein Erbstück des Großvaters, der eines Tages seinen Dienst einstellte: „Das ist dann schon ganz schön, wenn man mit kleinen Handgriffen sowas wieder in Gang bringt, und […] dem dann eine riesen Freude damit [macht]!“, erklärt Henryk wohlwollend. Doch nicht alle Geräte, die ins Reparaturcafé gebracht werden, können auch tatsächlich einem zweiten Leben zugeführt werden – Die Erfolgsquote der tapferen Reparatur-Kameradschaft in Kemnath lag 2023 bei 61 Prozent - ein durchaus beachtlicher Wert, bedenkt man doch den ehrenamtlichen Hintergrund und die damit verbundene Begrenzung der Instandsetzungszeit auf 30 Minuten pro Gerät. Beim Reparieren sollte man aber auch keine Berührungsängste haben, so Henryk: „Die Geräte kommen eh schon immer kaputt, das heißt man kann nicht mehr kaputt machen“, gibt er mit heiterem Gemüt zu Bedenken. Man müsse die Reparatur einfach probieren, auch wenn diese scheitere, so habe man es zumindest versucht.
Nun sei es laut Henryk allerdings auch ein Irrglaube, jeder dieser Ritter der Nachhaltigkeit müsse in sämtlichen Belangen der Technik fachkundig sein: „Ich hab jetzt von Plattenspieler-Radio-Kombinationen nicht wirklich eine Ahnung, aber der Stromfluss bleibt immer der gleiche. Die Bauteile, die verwendet werden, ob das jetzt ein Fernseher […] oder […] ein Radio ist - da ist nicht viel um.“
Wenn er doch einmal nicht weiter weiß, wendet er sich getrost an seine getreuen Gefährten. Denn vereint könne man wesentlich mehr bewegen als alleine. Ganz nebenbei trägt das Kemnather Mittendrin auf diese Weise auch maßgeblich zur Völkerverständigung in der Region bei. Denn im Reparaturcafé engagieren sich neben dem aus der niederbayerischen Provinz stammenden Henryk auch etliche Mitstreiter aus Oberfranken und der Oberpfälzern - eine hochexplosive Mischung an Mitstreitern will man meinen - aber weit gefehlt. Gemeinsam kämpfen sie immer wieder aufs Neue für eine bessere und zukunftsträchtige Welt.
Aber im Reparaturcafé wird nicht nur geschraubt, gelötet und instand gesetzt, sondern auch eine Brücke zwischen den Generationen geschlagen. Hier lernen alle voneinander, während sie gemeinsam an einer nachhaltigeren Zukunft bauen – und das alles bei einem fröhlichen Plausch: „Eigentlich ist das eine schöne Sache, man repariert ja nicht nur kaputte Sachen […], sondern es kommen halt einfach ganz, ganz viele Leute verschiedener Schichten zu uns. […] Zum einen kommen die Leute, weil halt irgendwas kaputt ist und zum anderen wollen sie aber auch […] ein bisschen Gesprächskontakt haben. Und genau das bietet das Reparaturcafé an.“
Henryks Motivation rührt dabei nicht von ungefähr: „Als gesellschaftliches Mitglied muss man sich auch schon irgendwo einbringen. […] Ich bin halt der Meinung, ein bisschen etwas kann man auch zurückgeben.“ Bescheiden erklärt er weiter: „Man kann ja auch mal irgendwas Gutes tun, ohne dass man [dafür] etwas verlangt […] Das macht’s für mich aus.“ Kleine Präsente nehme er zwar meist dankbar an, erwarte sie aber nicht. Seine Belohnung sei die Freude, die er in den Herzen der Menschen hinterlässt, zusammen mit dem Gefühl, etwas zurückgegeben zu haben - und das ganz einfach auf eine Art und Weise, die er von Berufswegen her bestens beherrscht.
So entfalten sich die kleinen Räumlichkeiten des Reparaturcafés in Kemnath zu einem prächtigen Ort der Begegnung, an dem Menschen zusammenkommen, ihre Fähigkeiten teilen und gemeinsam Lösungen finden - Ein wahrlich zauberhaftes Fleckchen Erde inmitten der geschichtsträchtigen Oberpfalz mit ihren hügeligen Landschaften und Wäldern - stets unter dem allumspannenden Kredo: Reparieren statt Wegwerfen! Die ehrenamtlichen Helden und die tapferen Besucher arbeiten Hand in Hand und hauchen den kaputten Geräten neues Leben ein – während gleichzeitig bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen wertvolle Begegnungen und unvergessliche Gespräche entstehen! Voilà!
„Ich mache mit, um einen ressourcenschonenden Lebensstil zu schaffen! - Und was machst Du?“